Kreis Olpe nimmt Stellung: Kind soll jahrelang in Attendorner Haus eingesperrt gewesen sein

Der Kreis Olpe kommt aus der Deckung und nimmt am Sonntagnachmittag (06.11.2022) in einer Pressemitteilung zu den Geschehnissen in Attendorn Stellung. Von der Staatsanwaltschaft Siegen, die in diesem Fall strafrechtliche Aspekte wie Freiheitsberaubung prüft, gab es bisher kein schriftliches Pressestatement wie in ähnlichen Fällen üblich. Augenscheinlich hat der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Siegen lediglich auf telefonische Pressanfragen hin Auskünfte erteilt.

Ob dem Jugendamt des Kreises Olpe im Zusammenhang mit dem eingesperrten Kind ebenfalls Versäumnisse vorzuwerfen sind, wird wohl von Seiten der Staatsanwaltschaft und im politischen Raum zu klären sein.

Der Kreis Olpe will nach eigenen Angaben anonymen Hinweisen, wonach das Mädchen zusammen mit seiner Mutter bei deren Eltern in Attendorn lebe, mehrfach nachgegangen sein, habe aber keine stichhaltigen Beweise gefunden, die diese Thesen bekräftigten. Vermutlich ist Mitarbeitern des Jugendamtes in der Außenstelle Attendorn auch noch nicht aufgefallen, dass es im Kreis Olpe seit 1999 keinen Oberkreisdirektor mehr gibt…

Wir veröffentlichen an dieser Stelle die Presseinformation des Kreises Olpe vom 06.11.2022 und weisen ausdrücklich darauf hin, dass der Inhalt der Presseinformation nicht die Meinung der Redaktion wiedergibt.

Achtjähriges Mädchen offenbar jahrelang versteckt und eingesperrt
Kreis Olpe prüft  verfahrensbezogenen Vorgänge

Der Fall des vermutlich jahrelang in Attendorn versteckten Mädchens ruft auch beim Kreis Olpe große Betroffenheit hervor.

Fest steht, dass das Jugendamt des Kreises Olpe mit Unterstützung der Kreispolizeibehörde Olpe das Mädchen am 23. September dieses Jahres in dem Haus der Großeltern mütterlicherseits gefunden und es nach ärztlichen Untersuchungen umgehend in die Obhut einer Pflegefamilie gebracht hat. Ersten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Siegen zufolge konnte das heute achtjährige Mädchen das Haus in Attendorn nicht verlassen, seitdem sie rund eineinhalb Jahre alt war. Hinweise auf eine körperliche Misshandlung oder Mangelernährung liegen nicht vor, das Kind steht weiter in ärztlicher Behandlung, speziell natürlich hinsichtlich psychischer Folgen.

Laut einer Registereintragung des Einwohnermeldeamts sind die Kindesmutter und das Kind im Juni 2015 nach Kalabrien in Italien umgezogen, seither ist dem Vater ein Kontakt nicht mehr ermöglicht worden. Die Beziehung zu dem leiblichen Vater bestand schon vor der Geburt des gemeinsamen Kindes offenbar nicht mehr.

Anonymen Hinweisen, dass das Mädchen zusammen mit seiner Mutter bei deren Eltern in Attendorn lebe, ist das Jugendamt mehrfach nachgegangen, fand aber keine stichhaltigen Beweise, die diese Thesen bekräftigten. Vorwürfe einer möglichen Kindeswohlgefährdung konnten nicht konkretisiert werden. Es lagen keine konkreten Beweise vor, dass das Kind nicht in Italien lebt.

Im Juli dieses Jahres berichtete ein Ehepaar, das keine direkte Verbindung zu den Familien hat, von einer möglichen Kindeswohlgefährdung und Erzählungen von Freunden, die sich sicher seien, dass das Kind im Haus der Großeltern gefangen gehalten würde. Daraufhin wurde am 14. Juli 2022 ein Amtshilfeersuchen des Kreis-Jugendamts beim Bundesamt für Justiz zur Weiterleitung an die zuständigen Behörden in Italien eingeleitet. Am 12. September 2022 erhielt das Jugendamt eine E-Mail des Bundesamtes für Justiz mit der Information der italienischen Zentralbehörde, „dass die Kindsmutter nie unter der in Ihrem Ersuchen angegebenen Adresse ansässig geworden ist“.

Bereits am nächsten Tag, am 13. September 2022, wurde per E-Mail der Sachverhalt vollumfänglich der Polizei mitgeteilt. Am 23. September 2022 hat das Familiengericht den Eltern Teile des Sorgerechts entzogen und das Jugendamt zum Ergänzungspfleger sowie eine Verfahrensbeiständin bestellt. Ferner wurde die Kindesmutter verpflichtet, das Kind „unverzüglich an das Jugendamt als Ergänzungspfleger herauszugeben“.

Am gleichen Tag durchsuchten Polizei und Jugendamt das Haus der Großeltern mütterlicherseits und fanden das Mädchen.

Die Staatsanwaltschaft Siegen hat ein Ermittlungsverfahren wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen sowie Freiheitsberaubung gegen die Kindsmutter und deren Eltern eingeleitet. Selbstverständlich prüft der Kreis Olpe die verfahrensbezogenen Vorgänge im eigenen Haus. Landrat Theo Melcher: „Ich hoffe, die Ermittlungen geben Antworten auf die uns alle bewegende Frage, warum das Mädchen über so viele Jahre versteckt wurde und ihm ein ,normales‘ Kinderleben verweigert wurde. Ich freue mich aber, dass das Mädchen aus dieser Situation befreit werden konnte und es ihm offenbar gesundheitlich gutgeht.“


Unser Bericht vom 05.11.2022

Wenn das stimmt, ist es eine ganz schlimme Tat: Eine Mutter soll in Attendorn ihre eigene Tochter (8) jahrelang zu Hause eingesperrt haben. Das Kind durfte, so der „Sauerlandkurier“, seit rund 7 Jahren das Haus in der Attendorner Innenstadt nicht mehr verlassen. „Viel von der Außenwelt kann das Kind daher bewusst nicht wahrgenommen haben“, sagte Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss gegenüber dem „Sauerlandkurier“.

Das Kind war durch das Jugendamt des Kreises Olpe mit Unterstützung der Polizei am 23. September aus der Wohnung befreit worden. Danach kam es in die Kinderklinik in Siegen. Dort soll es erzählt haben, noch nie eine Wiese oder einen Wald gesehen zu haben.

Die Behörden waren durch einen Tipp auf dem Fall aufmerksam geworden. Die Mutter hatte wohl in der Vergangenheit auch dem Vater des Kindes erzählt, dass sie in Italien lebe. Als die dortigen Behörden schließlich mitteilten, dass sie dort nicht bekannt sei, kam es mit einem Durchsuchungsbeschluss schließlich zur Befreiung des Kindes.

Das Mädchen habe mutmaßlich knapp sieben Jahre lang in dem Haus der Großeltern in Attendorn gelebt, ohne es verlassen zu dürfen. Die Staatsanwaltschaft in Siegen ermittelt gegen die Mutter des Kindes und die Großeltern, wie Sprecher Patrick Baron von Grotthuss am Samstag sagte. Man gehe davon aus, dass diese Personen dem Mädchen nicht ermöglicht hätten, „am Leben teilzunehmen“ – nicht am Kindergarten, nicht an der Schule und nicht am Spiel mit anderen Kindern.

Die Hintergründe sind noch völlig unklar. Mutter und Großeltern machen nach Angaben der Ermittler von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch. Daher tappe man noch im Dunkeln, „was da möglicherweise in den Köpfen der Menschen vorgegangen ist“, wie Baron von Grotthuss gegenüber dpa sagte. Attendorn liege auf dem Land. „Man denkt ja, die Sozialkontrolle funktioniert da noch“, sagte er. Aber selbst die Nachbarn hätten nicht gewusst, dass Mutter und Kind im Haus gewesen seien.

Das Mädchen lebt nun in einer Pflegefamilie. Hinweise auf eine körperliche Misshandlung oder Unterernährung gebe es momentan nicht. „Allerdings haben wir die Situation, dass es die Außenwelt nicht gesehen hat“, sagte Baron von Grotthuss. Die Mutter und Großeltern des Kindes blieben auf freiem Fuß, werden sich aber einem Strafprozess stellen müssen. Die Mutter schweigt bisher zu den Vorwürfen.

Fotos: Berthold Stamm bilderdienst.de